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Lebensbedingungen Kinder Cite Soleil

Viele Haitianer leben von der Hand in den Mund

Fortschritte nach dem Erdbeben sind für die Menschen kaum spürbar

Fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010 hat sich für die Mehrheit der Haitianer nur wenig zum Guten verändert. Weiterhin leben rund 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Die Hälfte der Haitianer geht abends hungrig ins Bett und mehr als 40 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Politisch steckt das Land in der Dauerkrise. Mehrere tausende Organisationen, darunter das Kinderhilfswerk nuestros pequeños hermanos (nph), kümmern sich um Ernährung, Gesundheit und Bildung der ärmsten Menschen. Haiti wird das Millenniumsziel eins - Beseitigung von Hunger und Armut – in diesem Jahr nicht erreichen.

Marie Claude Richmond lebt von der Hand in den Mund


Marie Claude Richmond lebt mit ihren sechs Kindern in Morne Calvère, einem Vorort von Port-au-Prince. Die Familie wohnt in Miete und kann sich nur ein Zimmer leisten. Sie lebt jeden Tag von der Hand in den Mund. „Wenn ich etwas bekomme, bin ich glücklich und der Tag ist gerettet, aber wenn es nichts gibt, dann müssen wir das so hinnehmen“, sagt Richmond. Weil die Wohnverhältnisse katastrophal sind und die Familie oft nicht genügend zu Essen hat, ist der jüngste Sohn Thermidor Therwens krank geworden. Seit letzten Oktober wird der 14-Monate alte Junge im Kinderkrankenhaus von nph haiti behandelt. Die Tuberkulose ist inzwischen geheilt, nun behandeln die Ärzte die Mangel- und Unterernährung des Kleinen. Ein scheinbar auswegloser Kampf, solange sich die persönliche Situation der Familie nicht ändert. In Haiti ist das Schicksal von Marie Claude und ihrem Sohn kein Einzelfall.

Vom Slumbewohner zum Macher


Wie Marie Claude Richmond stammt auch Joel Janeus aus ärmsten Verhältnissen. Der junge Mann ist in Cité Soleil aufgewachsen, einem der größten Armenviertel in Port-au-Prince, in dem zwischen 200.000 und 400.000 Menschen unter unwürdigsten Lebensbedingungen hausen – ohne Strom, sanitäre Anlagen und Elektrizität. Das Leben - ein täglicher Überlebenskampf. Doch Janeus hatte einen Traum auf dessen Verwirklichung er konsequent hingearbeitet hat. Er gründete die Action Chrétienne pour le Devéloppement, eine Organisation von Menschen aus Cité Soleil für Menschen in Cité Soleil. Mit nph haiti und der St. Luc Stiftung, fand Joel Janeus Partner, die ihm zuhörten. Als erstes gemeinsames Projekt bauten die Organisationen, in Zusammenarbeit mit den Bewohnern von Cité Soleil, das St. Marie-Krankenhaus, ein Krankenhaus für die Menschen im Slum. „Wir sind so stolz darauf, dass wir auf das Dach des Krankenhauses in großen Lettern „DIFERANS“ geschrieben haben. Das bedeutet Unterschied/Veränderung. Der Bau des Krankenhauses war der Beginn einer immensen Veränderung, die durch das Fòs Lakay Programm erreicht wurde“, freut sich Joel Janeus.

Häuserbau für menschenwürdiges Wohnen


Ein zweites Projekt des Fòs Lakay Programms, das die Action Chrétienne pour le Devéloppement mithilfe der St. Luc Stiftung verwirklichen konnte, ist der Häuserbau für menschenwürdiges Leben in Cité Soleil. Die Häuser sind erdbebensicher gebaut. Sie bestehen aus zwei Zimmern, einer Kochecke, einem Badezimmer und zwei kleinen Veranden. Jedes Haus kostet rund 8.200 Euro. 256 Häuser konnten bis Ende 2014 gebaut werden. Die Bewohner von Cité Soleil wurden in den Bau integriert und die entstandenen Arbeitsplätze sichern den Menschen ein bescheidenes Einkommen und damit das Überleben der Familie. Joel Janeus ist von diesem Projekt überzeugt: „Laut offiziellen Angaben wurden zahlreiche Hilfsfonds in Millionenhöhe für Cité Soleil eingesetzt. Resultate sieht man jedoch kaum. Warum? Weil zahlreiche Projekte nicht gemeinsam mit der Community umgesetzt wurden, weil sie nicht am Bedarf und an den lokalen Gegebenheiten ausgerichtet waren. Bei Fòs Lakay ist das anders.“

Arbeitsplätze schaffen ist die größte Herausforderung der Zukunft


Im Jahresbericht „Haiti 2030 am Horizont“, der im Dezember vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlicht wurde, wird die Schaffung von angemessenen Arbeitsplätzen als eine der größten Herausforderungen für die haitianische Regierung beschrieben. Knapp 45 Prozent der Beschäftigten in Haiti müssen mit rund einem Euro täglich auskommen – trotz ihrer Beschäftigung. „Wir beeinflussen die Gesellschaft auf zwei unterschiedliche Arten. Ich glaube der wichtigste Faktor ist, dass wir Arbeitsplätze schaffen“, sagt der Priester und Arzt Richard Frechette, Leiter der nph-Einrichtungen in Haiti und der St. Luc Stiftung. Aufgrund der Vielzahl an Einrichtungen und Programmen beschäftigen nph und die St. Luc Stiftung rund 1.600 Haitianer. Beide Organisationen zählen damit zu den größten Arbeitgebern im Großraum Port-au-Prince. Die Beschäftigten arbeiten als Betreuer in den beiden Kinderdörfern, sind Lehrer, Ärzte oder liefern mit Lastwagen sauberes Wasser in die Armenviertel. „Die Menschen hier haben keine Angst vor Arbeit, im Gegenteil, sie suchen verzweifelt danach. Und das ist wahrscheinlich die wichtigste Ressource des Landes und auch für uns“, sagt Pater Richard.

Die politische Dauerkrise gefährdet die kleinen Fortschritte


Seit Monaten steckt Haiti in einer politischen Dauerkrise. Im letzten Oktober verschob Präsident Michel Martelly die seit drei Jahren fälligen Parlaments- und Regionalwahlen auf unbestimmte Zeit. Der Grund ist, dass sich Regierung und Opposition weder auf den Wahltermin noch auf die Zusammensetzung des Wahlrates einigen können. Ende Dezember gab es Gespräche zwischen Parlament, Regierung und Legislative. Alle Beteiligten einigten sich darauf, dass eine außerordentliche Kommission gegründet wird. Diese Kommission hat inzwischen die Arbeit aufgenommen und Vorschläge erarbeitet, die die Entlassung der derzeitigen Regierung, der aktuellen Wahlkommission, sowie des wichtigsten Justizvertreters vorsieht. Darüber hinaus sollen die Parlamentsmitglieder, deren Mandat am 12. Januar ausläuft, weiterhin im Amt bleiben, damit kein Machtvakuum entsteht. Nun muss das Parlament diese Vorschläge ratifizieren. Falls dies nicht geschieht, wird Präsident Martelly ab Mitte Januar auf unbestimmte Zeit per Dekret weiterregieren.

Durch die politische Lähmung kam es in den letzten Monaten vielerorts zu Protesten der Bevölkerung, die Regierung und Opposition vorwerfen, sich nicht um die drängenden sozialen Probleme zu kümmern. Teils kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei, auch am ersten Januar, dem Unabhängigkeitstag Haitis.

Trotz dieser seit Jahren verfahrenen Situation, ist es der Regierung Martelly in den letzten fünf Jahren gelungen, kleinere Fortschritte zu erringen: Bei der Beseitigung extremer Armut, im Straßenbau, beim Wiederaufbau oder im Bildungssystem. Allerdings gefährdet die politische Instabilität diese Fortschritte. Zudem trägt sie kaum dazu bei, dass Haiti attraktiv für Investoren wird. Denn wer in dem Karibikstaat Geld beispielsweise in Fabriken oder Hotels investiert, möchte stabile politische Verhältnisse, ein verlässliches Steuerrecht und eine funktionierende Justizbehörde. Und ohne den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft dürfte es jeder künftigen Regierung schwer fallen Arbeitsplätze zu schaffen und Armut und Hunger nachhaltig zu bekämpfen. Deshalb wird Haiti weder im Jahr 2015, noch in den darauf folgenden Jahren, das Millenniumsziel 1 erreichen können. Bleibt zu wünschen, dass das Land schnell aus der politischen Dauerkrise herauskommt, um, wie im Jahresbericht „Haiti 2030 am Horizont“ beschrieben, in den nächsten 15 Jahren zum Schwellenland anzuheben. Für Marie Claude Richmond würde sich jedenfalls ein Traum erfüllen: „Ich bin gesund und würde gerne durch eine Arbeit meine Kinder in Würde durchs Leben bringen.“

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nph Kinderhilfe - Hilfe für Kinder in Lateinamerika

Nadine Fissl

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit