Christlicher Glaube im Kinderdorf in Lateinamerika bei nph

Der christliche Glaube im Kinderdorf-Alltag bei nph

Ob der Glaube in den nph-Kinderdörfern auch heute noch eine Rolle im Leben der Kinder spielt, erklärt Markus Streit, Koordinator des internationalen pädagogischen Teams von nph, im Interview.

Das Kinderhilfswerk nph (nuestros pequeños hermanos), 1954 von Padre Wasson (1925–2006) in Mexiko gegründet, war und ist bis heute für zirka 18.000 verwaiste oder verlassene Kinder ihr neues Zuhause. Ein Zuhause, in dem sie geliebt und auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden. Warum auch im Jahr 2018 der christliche Glaube, gelebte Nächstenliebe und soziales Engagement das Leben in den Kinderdörfern bestimmt, erklärt Markus Streit, Koordinator des internationalen pädagogischen Teams von nph.

Markus Streit (li.) unterrichtet die Erzieher in den nph-Kinderdörfern.
Markus Streit (li.) unterrichtet die Erzieher in den nph-Kinderdörfern.

nph: Für Padre Wasson war es bei der Gründung des Kinderhilfswerks nuestros pequeños hermanos (nph) wichtig, dass die Kinder in einer christlichen familiären Umgebung aufwachsen. Warum?

Markus Streit: Er selbst ist in einer christlichen Familie groß geworden. Seine Eltern setzten sich für verwahrloste junge Menschen, für Straffällige und Prostituierte ein. Alle saßen mittags an einem Tisch und aßen gemeinsam, wie in einer richtigen Familie. Dieses Familienleben prägte Padre Wassons Lebensweg nachhaltig und führte schließlich zu der Entscheidung, Priester zu werden.
Der christliche Glaube war für ihn die Basis jeglicher Familie, jeglicher Gemeinschaft. Als katholischer Pfarrer hatte er zudem den Wunsch, die christliche Nächstenliebe an die Kinder weiterzugeben. Padre Wasson nahm die Kinder und Jugendlichen in eine neue Familie, die nph-Familie, auf und er fühlte sich für sie wie ein Vater verantwortlich.

Weihnachten 1968: Padre Wasson teilt Geschenke an die Kinder aus.
Weihnachten 1968: Padre Wasson teilt Geschenke an die Kinder aus.

nph: Spielt der christliche Glaube auch heute, im Jahr 2018, in den Kinderdörfern noch eine große Rolle?

Markus Streit: Im Leben der Kinder ist der christliche Glaube durch das tägliche Gebet integriert. Der gemeinsame sonntägliche Gottesdienst stellt in jeder Woche einen zentralen Punkt für die Gemeinschaft dar.
Und natürlich sind die katholischen Feiertage ein fester Bestandteil im religiösen Kinderdorf-Leben. Kirchliche Feste wie Weihnachten, Pfingsten und natürlich die Karwoche und die Auferstehung Jesu zu Ostern feiern alle gemeinsam. Daneben werden die Kinder auf die erste Kommunion und die Firmung im Rahmen der Katechese vorbereitet.

nph: Der Dank ist also ein fester Bestandteil im Leben jedes Kindes?

Markus Streit: Jedes Kind weiß, wie wichtig der tägliche Dank ist und dass es sich dafür Zeit nehmen muss. Am Morgen sitzen alle gemeinsam am Tisch und bevor man anfängt zu essen, bedankt man sich für den neuen Tag, den man erlebt, und für das Essen. Außerdem gibt es noch das tägliche Gute-Nacht-Gebet, dass den Dank für den Tag und den Wunsch für eine ruhige Nacht darstellt. Das ist ganz wichtig, damit die Kinder zur Ruhe kommen und sich geborgen fühlen.

Die Kinder danken für das Essen mit einem Tischgebet.
Die Kinder danken für das Essen mit einem Tischgebet.

nph: Wie sieht es in der Schule aus?

Markus Streit: In einigen Ländern Lateinamerikas ist Religion kein Lehrfach in den öffentlichen Schulen. Sofern nph die Schulen selbst betreibt, die Lehrer und den Direktor beziehungsweise die Direktorin stellt, wird Religionsunterricht für alle internen und externen Schüler angeboten.

nph: Ist die Teilnahme am Religionsunterricht freiwillig?

Markus Streit: Grundsätzlich ja. Nur bei kleineren Kindern, wo bei Eintritt in die nph-Familie die Religionszugehörigkeit nicht geklärt werden konnte, ist der Religionsunterricht verbindlich. In Lateinamerika und der Karibik ist der überwiegende Teil der Bevölkerung katholisch. Sofern die nph-Verantwortlichen aber wissen, dass ein Kind einer anderen Glaubensgemeinschaft angehört, wird nicht missioniert. Die Kinder müssen nicht zum katholischen Glauben übertreten.

nph: Wie prägt der Glaube das Miteinander und die Arbeit mit den Kindern?

Markus Streit: Sehr stark. Viele unserer Mitarbeiter sind selbst christlich motiviert, ihrem Nächsten, in dem Fall den Kindern ihres Land, etwas Gutes zu tun. Auch wenn das bedeutet, dass sie ihre eigenen Kinder zum Beispiel in die Obhut der Oma geben müssen. Sie sehen ihre Arbeit als ihren Auftrag, ihre Berufung an.
Der Dienst am Nächsten ist gleichzeitig auch Grundlage für das Leben bei nph. Sich für andere einsetzen, etwas Soziales tun, steht immer im Vordergrund, auch bei den nph-Schützlingen.

Die Erzieherin schenkt dem Kleinen die Liebe und Sicherheit, die er braucht.
Die Erzieherin schenkt dem Kleinen die Liebe und Sicherheit, die er braucht.

nph: Dieser Dienst am Nächsten, das soziale Engagement der Jugendlichen, wo findet das statt?

Markus Streit: Die Jugendlichen gehen in Alten- oder Pflegeheime oder helfen in den umliegenden Gemeinden. Sie räumen dort den Garten auf, machen sauber oder singen gemeinsam mit den alten Menschen. Ab und zu entstehen feste Gruppen, die regelmäßig Besuche in den Heimen durchführen.

Die Betreuung der alten Menschen ist in den Ländern Lateinamerikas oft unzureichend. Es gibt kaum Personal. Die Besuche sind tätige Nächstenliebe, die für Padre Wasson sehr wichtig war. Er sagte immer: „Du kannst viel für die Menschen beten, aber das einzige Gebet, das zählt, ist die Tat, das Gute, was du dem Menschen tust.“ Deshalb steht das auch noch heute für uns im Vordergrund.

nph: Gibt es weitere soziale Projekte?

Markus Streit: Es werden zum Beispiel auch Lebensmittel und Kleidung gesammelt, um sie in die Kinderdörfer zu bringen. Außerdem gehen die Jugendlichen in die umliegenden armen Gemeinden und spielen mit den Kindern oder zeigen ihnen, wie man einen kleinen Garten anlegt. Das sind wertvolle Erfahrungen für die nph-Schützlinge.

Soziales Engagement bedeutet für die nph-Schützlinge, dass sie sich um andere kümmern, wie hier im Altenheim.
Soziales Engagement bedeutet für die nph-Schützlinge, dass sie sich um andere kümmern, wie hier im Altenheim.

nph: Warum ist die Erfahrung der bedingungslosen Liebe so essentiell für die religiöse Entwicklung des Kindes?

Markus Streit: Das liegt im Urvertrauen begründet. Wächst ein kleiner Mensch in einer positiven Welt auf, in der alle Bedürfnisse nach Essen, Trinken oder Zärtlichkeit gestillt werden, entwickelt sich ein positives Vertrauen in das Leben. Erlebt ein Kind aber körperliche Gewalt oder Trennung, so entstehen Vertrauensbrüche. Die können wieder heilen, aber dafür braucht es Zeit und eine liebevolle Umgebung.

Für Padre Wasson war das ein wichtiger Punkt bei der christlichen Botschaft. Er sagte immer, wir brauchen Menschen, die das Leben lieben, und das müssen wir unseren Schützlingen vorleben. Das Urvertrauen ins Leben selbst, das ist der Grundbestandteil der christlichen Lehre.

Der Ansatz bei nph ist: Ich kann mein Leben gestalten und ich bin grundsätzlich angenommen. Wir sagen, jeder Mensch ist gut, er ist angenommen, er hat Würde und er hat einen Sinn für die Welt.