Sonja Smolka, Projektreferentin für Haiti, mit Bootsbauern in Haiti.

Die Nothilfe nach Hurrikan Matthew kommt an

Sonja Smolka, Projektkoodinatorin Haiti von NPH Kinderhilfe Lateinamerika, begleitete einen Hilfskonvoi nach Nan Roche, in den Südwesten Haitis, wo der Hurrikan am schlimmsten wütete. Hier ihre Schilderungen:

Nach dem Beladen eines Lastwagens sowie Pick-ups mit Hygieneartikeln, Lebensmitteln und Agrarprodukten fuhren wir von der Hauptstadt Port-au-Prince Richtung Nan Roche. Dort hatte der Hurrikan am schlimmsten gewütet.

Noch bevor wir die Stadt verließen, stoppten wir an einem Baumarkt, um große Schaufeln und Spitzhacken zu kaufen. Ich war mir sicher, dass diese Geräte Teil der Hilfe für Kleinbauern waren. Aber Pater Richard, Leiter von nph haiti, belehrte mich eines Besseren: Wir werden die Schaufeln und Hacken vermutlich brauchen, wenn die Fahrzeuge im Schlamm stecken bleiben.

Augenblicklich wurde mir klar, dass ich keinerlei Vorstellungen davon hatte, was mich wirklich erwartete.

 Auch drei Monate nach dem Hurrikan leben viele Menschen noch in notdürftig reparierten Häusern.

Auch drei Monate nach dem Hurrikan leben viele Menschen noch in notdürftig reparierten Häusern.

Je mehr wir uns dem Süden näherten, umso mehr entwurzelte Bäume, abgedeckte Dächer und zerstörte Häuser sahen wir. Es war bedrückend, dass auch drei Monate nach dem Hurrikan sich kaum etwas an der Lebenssituation der Menschen geändert hatte. Besonders ihre Wohnsituation war immer noch sehr notdürftig.

 Viele Straßen sind durch umgestürzte Bäume und Unterspüungen noch immer sehr schlecht befahrbar.

Viele Straßen sind durch umgestürzte Bäume und Unterspüungen noch immer sehr schlecht befahrbar.

Bis Jérémie war die Strecke noch relativ gut passierbar, auch wenn oft keine wirklichen Straßen, sondern nur Steinpisten vorhanden waren. Aber dann meinte ein haitianischer Kollege plötzlich: „Gleich wird die Straße schlecht.“

Doch das, was kam, war keine Straße mehr. In Deutschland würden wir wohl Wanderpfad dazu sagen. Und diese „Straße“ mussten wir mit einem bis oben hin beladenen Lastwagen befahren.

Und nicht nur der Zustand der Straße bereitete uns Kopfzerbrechen, es mussten zusätzlich einige Flüsse durchquert werden. Bevor der Lastwagen jeweils den Fluss durchfuhr, stieg Myrto, ein haitianischer Kollege, aus, watete durchs Wasser, um den günstigen Punkt zur Überquerung zu suchen.

Streckenweise waren die Wege so schlammig, dass wir immer wieder ins Schlittern gerieten. Zu allem Übel befand sich rechts von uns ein Abgrund. Während dieser Fahrt wurde mir wieder klar, dass wir uns viel zu selten vor Augen führen, welche große Verantwortung die Fahrer tragen – und was für einen großartigen Job sie machen.

 Es war sehr gefährlich, in der Finsternis auf unbefestigten Schlammstraßen zu fahren.

Es war sehr gefährlich, in der Finsternis auf unbefestigten Schlammstraßen zu fahren.

Inzwischen war es 20 Uhr geworden Der Wald und einzelne Hütten konnten wir in der stockdunklen Finsternis nur erahnen. Die Wege wurden immer schlechter und der Schlamm immer tiefer.

Und plötzlich ging nichts mehr. Der Lastwagen steckte im Schlamm fest. Mit den zuvor gekauften Schaufeln versuchten wir die Räder frei zu schaufeln und Steine drunter zu legen. Der Lastwagen bewegte sich keinen Meter vorwärts, sondern wirbelte nur Schlamm auf.

Wir befestigten ein Abschleppseil an den Pick-up, um den Lastwagen herauszuziehen. Das Abschleppseil riss.

Plötzlich kam aus dem Nichts eine Gruppe junger Haitianer. Es wurde viel diskutiert, dann schnappten sie sich die Schaufeln und Hacken und versuchten den Lastwagen freizubekommen.

In Haiti gibt es immer einen Plan B. Raphael fuhr mit dem Pick-up hinter den Lastwagen und versuchte mit einem neuen Abschleppseil diesmal den Wagen rückwärts herauszuziehen. Gleichzeitig schoben wir alle und tatsächlich, der Lastwagen kam frei. Eine Stunde hatten wir durch diese Aktion verloren.

Inzwischen war es 21 Uhr, vor uns lagen noch zwei Stunden Fahrt. Der Pick-up fuhr langsam voraus. Kam eine schwierige Stelle, hielten wir an und checkten, ob der Lastwagen durchkommt. Wenn nicht, schaufelten wir erneut den Weg frei. Ich war beeindruckt zu sehen, wie perfekt wir zusammenarbeiteten.

Erst nach Mitternacht, nach 13 Stunden Fahrt für eine Strecke von 300 Kilometern, erreichten wir endlich unser Ziel Nan Roche.

 Der Lastwagen wird in Nan Roche entladen.

Der Lastwagen wird in Nan Roche entladen.

Am nächsten Morgen entluden wir den Lastwagen und verteilten die Güter an die Gemeinden in und um St. Victor sowie Nan Roche. Mit den Gemeindevorstehern wurde zudem vereinbart, dass sie Nutztiere kaufen und untereinander verteilen sollten.

Ein alter Mann kam vorbei und zeigte uns ganz verzweifelt seine zerstörten Bienenstöcke. Wir hatten eine Überraschung für ihn dabei: neue Bienenstöcke für eine neue Existenz. Er konnte sein Glück gar nicht fassen.

Ich bewundere immer wieder, wo die Haitianer die Kraft und den Mut hernehmen, nach all den Schicksalsschlägen weiterzumachen. um für sich und ihre Kinder eine Zukunft aufzubauen. Wenn wir ihnen die notwendigen Ressourcen bereitstellen, sind sie in der Lage, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Und dafür brauchen wir Spenden. Spenden um Existenzen neu zu gründen, die ganze Familien ernähren.