Dr. Pilar Silverman ist Leiterin des internationalen medizinischen Teams von nph und Expertin in Sachen Gesundheit in Lateinamerika. Im Interview haben wir mit ihr unter anderem über die UN-Millenniumsentwicklungsziele, das Gesundheitssystem in Lateinamerika und den medizinischen Teil der Arbeit von nph gesprochen.
nph: Was halten Sie ganz allgemein von der Gesundheitsversorgung in Lateinamerika? Was funktioniert gut, und was nicht? Was müsste verbessert werden?
Dr. Pilar Silverman:
Allgemein ist die öffentliche Gesundheitsversorgung nicht ausreichend finanziert und keine Priorität für die Regierungen. Die Krankenhäuser sind nicht ausreichend ausgestattet - die Patienten müssen ihr eigenes Bettzeug und sogar Medikamente für die Behandlung mitbringen. Die Ärzte sind allgemein gut ausgebildet und wollen Karriere machen, weshalb sie früher oder später im privaten Sektor arbeiten oder ins Ausland gehen. Es ist nicht so, dass der Staat nicht genügend Impfstoffe hätte, man muss nur für sie bezahlen können.
Die Leistungen, Ausrüstung, Medikamente, zusätzliche Lebensmittel etc. hängen oft vom Wahlkalender ab.
Die Regierungen haben noch nicht versucht, psychische und chronische Krankheiten zu behandeln, was eine große Last für alle Gesundheitssysteme darstellt.
nph: Sind Sie zufrieden mit den medizinischen Versorgungsprogrammen von nph? Was ist gut und was könnte noch verbessert werden?
Dr. Pilar Silverman:
Das medizinische Versorgungsprogramm von nph ist gut und entspricht den Millenniumszielen und den Prioritäten der WHO. Es ist recht einfach zu verstehen, elementar und konzentriert sich auf seine Ziele und Prioritäten.
Wir haben allerdings mit der Fluktuation der lokalen medizinischen Mitarbeiter und ihrem Umgang mit Krankheitsfällen zu kämpfen, weshalb wir kontinuierlich neue Mitarbeiter schulen müssen. Ein weiteres Problem stellen die lokalen Behörden dar, die nicht über ausreichend Gelder verfügen oder nicht bereit sind, uns zu unterstützen.
Ultraschalluntersuchung in der nph-Kilinik in Haiti.
nph: Verfügen alle nph-Kinderdörfer über ein Krankenhaus und/oder eine Krankenstation? Warum ist das so wichtig?
Dr. Pilar Silverman:
Alle nph-Kinderdörfer haben eine Erstversorgungseinrichtung, die wir Krankenstation nennen. Die Hauptaufgabe der Krankenstation liegt in der Prävention auf allen Ebenen. Die erste Ebene ist es, zu verhindern, dass die Kinder sich mit einer Krankheit anstecken, die zweite ist es, Komplikationen zu verhindern, und die dritte ist es, schwerwiegende, ja selbst fatale Folgen zu verhindern. In den Krankenstationen haben wir einige Räume zur Beobachtung und einen Isolationsraum für noch zu bestätigende oder bereits bestätigte Infektionskrankheiten.
nph: In vielen Ländern der Welt sterben auch heute noch tausende Menschen an vermeidbaren Krankheiten wie Malaria, Denguefieber oder Cholera. Was unternimmt nph, um Menschen mit diesen Krankheiten zu helfen oder zu behandeln?
Dr. Pilar Silverman:
In unseren Kinderdörfern überwiegt das Denguefieber. Malaria und Cholera treten hingegen seltener auf. (außer in Haiti, Anm.) nph führt Präventivmaßnahmen wie die Beseitigung von Abfall und Wasseransammlungen aus der Umgebung durch und setzt Moskitonetze und Desinfektionsmittel ein. In Haiti sind einige unserer Kinder an Cholera erkrankt. Es ist sehr schwierig, die Krankheit zu 100% zu vermeiden.
Dr. Pilar Silverman mit einem ganz kleinen Patienten.
nph: Welche Bedeutung haben Impfungen für nph? Und warum?
Dr. Pilar Silverman:
Die beste Art und Weise, tödliche Krankheiten zu vermeiden, sind Impfungen. Wir impfen vor allem Kinder und haben aber Impfungen für alle Altersgruppen vorrätig. Impfungen retten Leben. Die Kindersterblichkeit ist auch dank der massiven jährlichen Impfkampagnen in einigen Altersgruppen zurückgegangen. Früher sind Kinder an Krankheiten wie Neugeborenen-Tetanus, Mumps. Diphterie und Windpocken gestorben. Einige Krankheiten wie z.B. die Röteln können sich zudem auf den Fötus auswirken und zur Geburt von Kindern mit angeborenen Missbildungen und Behinderungen führen.
nph: Eines der Millenniumsziele ist die Reduzierung der Kindersterblichkeit. Weshalb haben Länder wie Haiti, Honduras und Nicaragua sowie andere Länder der Welt solch eine hohe Kindersterblichkeitsrate?
Dr. Pilar Silverman:
Dafür gibt es mehrere Gründe: Fehlende Schwangerschafts- und Wochenbettversorgung, fehlende Impfungen, unzureichende allgemeine Gesundheitsversorgung, wie der Zugang zu Trinkwasser, Einsatz von Insektiziden und Moskitonetzen oder das Abfallmanagement.
Auch ungesunde Ernährung, unzureichende Bildung, Arbeitslosigkeit, sowie das fehlende Engagement der Regierungen führen dazu.
Alle Kinder bei nph werden geimpft.
nph: Was tut nph, um die Kindersterblichkeit zu verringern?
Dr. Pilar Silverman:
Wir haben verschiedene Maßnahmen:
• Ernährungsprogramme
• Impfprogramme
• Bildung in Gesundheitsfragen
• Präventivprogramme
• Hygienemaßnahmen wie die Entnahme von Wasserproben. Unsere Wasserqualität ist nicht immer optimal, aber mit den uns verfügbaren Mitteln geben wir unser Bestes.
nph: Ist es nicht auch notwendig, schwangere Frauen und Mütter mit Säuglingen zu versorgen, um die Kindersterblichkeitsrate zu verringern? Weshalb sterben so viele junge Frauen während der Schwangerschaft oder Geburt?
Dr. Pilar Silverman:
Das ist richtig. Wir haben ein Aufklärungsprogramm, an dem unsere Kinder bereits mit jungen Jahren teilnehmen und das sich über die gesamte Schulzeit hinzieht. In Lateinamerika gibt es sehr viele Teenager-Schwangerschaften mit einem Anteil von knapp 25 %. Informierte Mädchen bzw. junge Frauen haben später Geschlechtsverkehr und kümmern sich allgemein besser um ihre Kinder und insbesondere um deren Gesundheitsversorgung. Fehlende Bildung, fehlende Gleichberechtigung, Armut, etc. sind ein Teufelskreis für Frauen, der es ihnen schwer macht, selbstständige Entscheidungen zu treffen.
nph: Ist es notwendig, junge Frauen in den Bereichen gesunde Ernährung, Säuglingspflege und Hygiene zu schulen?
Dr. Pilar Silverman:
Ja, absolut. Das medizinische Team von nphi hat eine Psychologin eingestellt, um dieses Thema anzugehen. Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass alle Kinderdörfer sexuelle, emotionale und affektive Erziehungsprogramme für alle Altersgruppen durchführen, um die entsprechenden Werte zu vermitteln. Zudem organisieren wir die Mädchengruppen „Chicas poderosas“ und die mit beiden Geschlechtern arbeitende Aktionsgruppe „Jóvenes en Acción“ sowie lokale Jugendgruppen, die diese Themen diskutieren.
nph: Die Millenniumsziele laufen im Jahr 2015 aus, aber die globale Gemeinschaft hat vor, eine Agenda für die folgenden Jahre zu erarbeiten. Warum sind diese Bemühungen so wichtig? Sind Sie auch für nph von Bedeutung?
Dr. Pilar Silverman:
Alle Fortschritte in den Ländern, in denen wir tätig sind, helfen auch uns, unsere Ziele zu erreichen. Die Gesundheitsprobleme einschließlich der Probleme der öffentlichen Gesundheitsversorgung sind so tief greifend, dass wir sie nicht alleine lösen können. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, wenn gute staatliche Programme wie Tuberkulose- oder HIV-Programme gestartet werden, auch wenn diese nicht ausreichend finanziert sind, um diese dann weiter zu unterstützen. nph hat weder die Kapazitäten noch die nötigen Gelder, um alle Gesundheitsprobleme in den Ländern angehen zu können.
Wenn ein Land sich um Nachhaltigkeit bemüht, profitiert auch nph davon. Wir bei nph versuchen immer, alles zu geben, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern, selbst wenn die staatlichen Behörden das nicht tun.
nph: Dr. Silverman, vielen Dank für dieses Gespräch!
Dr. Pilar Silverman:
Danke!
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