Eine Minute reichte, um das Leben von mehr als 300.000 Menschen auszulöschen. So lange dauerte das Erdbeben in Haiti am 12. Januar 2010. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Fünf Jahre, in denen viel passiert ist. Es wurden Straßen gebaut, die Zeltstädte sind verschwunden, der Schutt abtransportiert. Doch warum geht es den Menschen trotzdem nicht wirklich besser?
Haiti, das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, ist nicht erst mit dem Erbeben von 2010 in Not geraten. Es befand sich schon lange davor in einem katastrophalen Zustand. Das Erdbeben hat die Lage verschärft und der Weltöffentlichkeit gezeigt: Haiti steht vor dem Abgrund. Die Bilder aus den Nachrichten von damals haben schockiert, alle waren bereit zu helfen. Millionen von Spendengeldern flossen für die Nothilfe nach Haiti.
Nothilfe – genau das brauchte Haiti vor fünf Jahren, als die Erde bebte. Doch was dem Land schon vor dem Erdbeben gefehlt hat, waren Strukturen und Institutionen, die ein Funktionieren des Landes ermöglicht hätten. Eine funktionierende Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, Arbeitsplätze, soziale Absicherung, Abwassersysteme – all das kann Haiti ohne nachhaltige Hilfe nicht aufbauen.
Nach dem Erdbeben blieb den Menschen nichts außer Trümmer. © nph
„Alle haben gedacht, dass Haiti durch das Erdbeben zerstört wurde. Doch sie wussten nicht, dass das Land auch zuvor schon kaputt war und das Erdbeben die Umstände nur verschärft hat. Den Menschen war einfach nicht bewusst, wie schlimm es vorher schon war. Dann kam auch noch die Cholera, die alles zehnmal schlimmer machte“, erzählt Gena Heraty, Leiterin der nph-Rehabilitationsprogramme in Haiti.
Behandlung von Cholera-Patienten durch nph.
Viele der Organisationen, die 2010 nach Haiti gekommen sind, haben das Land wieder verlassen. Es gibt Ausnahmen: nph ist schon seit 28 Jahren in Haiti tätig. Mit seinen Kinderdörfern, Krankenhäusern und Schulen, sowie einheimischen Mitarbeitern verfolgt nph den Grundsatz, langfristig und nachhaltig zu helfen. Nothilfe in Katastrophen ist wichtig, doch man muss den Menschen auch die Möglichkeit bieten, sich selbst zu helfen. Gerade in einem Land wie Haiti ist langjährige Erfahrung wichtig, um effektiv Hilfe leisten zu können.
Am 12. Januar jährt sich nicht nur das Erbeben zum fünften Mal, es wartet auch ein politisch brisantes Ereignis. An diesem Tag soll das Parlament aufgelöst werden, da die Wahlen, die schon vor drei Jahren hätten stattfinden sollen, niemals stattgefunden haben. Ende Oktober 2014 wurde die Wahl erneut abgesagt.
Der amtierende Präsident Martelly und Ex-Premierminister Lamothe machten dafür die Opposition verantwortlich. Doch das wütende Volk wirft Martelly vor, die Lage absichtlich herbeigeführt zu haben. Bei einer drohenden Auflösung des Parlaments würde er per Dekret weiterregieren – ohne Parlament. Die Protestierenden hingegen fordern Martellys Rücktritt. Premierminister Lamothe ist bereits Mitte Dezember 2014 aufgrund der Proteste zurückgetreten. Die Lage hat sich so zugespitzt, dass das Auswärtige Amt vor Reisen nach Haiti warnt und Beschäftigten vor Ort dazu rät, stets eine gepackte Reisetasche und Ausweispapiere bereitzuhalten, um im Notfall rasch ausreisen zu können.
Die Menschen in Haiti sind zu Recht wütend und verzweifelt. Sie wollen nichts lieber, als für sich und ihre Familien sorgen zu können. Doch in einem so zerrütteten Staat wie Haiti, in dem es keine Arbeit gibt, in dem Misswirtschaft und Korruption herrschen, ist es nahezu unmöglich, sein tägliches Brot zu verdienen. Deshalb sind die Haitianer auf Unterstützung angewiesen. Doch diese Hilfe muss nachhaltig sein. nph zum Beispiel legt großen Wert darauf, einheimische Arbeitskräfte anzustellen und lokale Produkte zu kaufen. Auf diese Weise leistet die Organisation einen Beitrag dazu, Haitis Wirtschaft zu stärken. nph hat rund 1.600 Arbeitsplätze in Haiti geschaffen. Jeder Arbeitsplatz bedeutet, dass eine ganze Familie ernährt werden kann.
Die Haitianer haben einen großen Arbeitswillen. Diesen beschreibt Pater Richard Frechette, Leiter von nph haiti: „Die Menschen hier haben keine Angst vor Arbeit, im Gegenteil, sie suchen verzweifelt danach. Und das ist wahrscheinlich die wichtigste Ressource des Landes und auch für uns. Es ist ganz gleich, was für eine Arbeit sie tun müssen, egal wie schwer oder wie unangenehm. Ich denke zum Beispiel an das Begraben der Toten in Titanyen (Dorf in der Nähe von Port-au-Prince, Anm.), wo es keinen einzigen schattenspendenden Baum gibt, keinen Tropfen Wasser und wo die Erde steinig ist. 50 Gräber müssen hier jede Woche gegraben werden und es findet sich immer jemand, der das übernimmt.“
Eine Gedenkfeier in Titanyen für die Opfer des Erdbebens. © nph
Die Schaffung von Arbeitsplätzen löst also schon viele Probleme. Wenn es in Haiti eine Wirtschaft gäbe, die die Arbeitskraft der Haitianer nutzen und faire Gehälter zahlen würde, könnten die Menschen in Haiti von ihrer Arbeit leben. Solange sie jedoch auf die Unterstützung der Hilfsorganisationen angewiesen sind, so lange wird Haiti auch ein „NGO-Staat“ bleiben. Haiti zum jetzigen Zeitpunkt allein zu lassen, würde bedeuten, die Menschen verhungern und sterben zu lassen. Deshalb wird nph auch weiterhin in Haiti bleiben und mit allen Mitteln versuchen, die Hilfsprogramme, die nach dem Erdbeben entstanden sind, aufrecht zu erhalten.
Jetzt spenden!