Liebe Freunde,
ich komme geraden vom Dach des St. Damien-Krankenhauses. Ich saß dort oben mit einem kleinen, sterbenden Hasen und meiner Bibel - in dieser Reihenfolge.
Der Hase war sehr klein. Er war von seiner Mutter im Stich gelassen worden und schon sehr stark ausgetrocknet. Der Vater einer Freiwilligen empfahl mir einen Tierarzt, der eventuell helfen könnte. Doch auch nach einem kurzen Telefonat mit ihm konnte ich dem kleinen Hasen nicht helfen.
So verbrachte ich die Zeit mit dem kleinen Hasen auf dem Dach des Kinderkrankenhauses. Ich hielt ihn, bis er starb.
Während ich in die Abendsonne schaute, erinnerte ich mich an einen Artikel in einem Naturmagazin. Die Autorin war beim Schnorcheln durch die Begegnung mit einem Delfin überrascht worden. Ich erinnere mich noch an die Pointe der Geschichte: Beide sahen sich direkt in die Augen. Die Autorin hatte das Gefühl, dass das Auge Gottes sie durch dieses wunderbare Geschöpf anblickte.
Etwas Ähnliches ist mir mit dem kleinen Hasen widerfahren. Während meines Rettungsversuches blickte er mit dem rechten Auge in das meine. Auge in Auge mit dem Hasen überkam mich das Gefühl, als ob das gesamte Universum mich durch das winzige Hasenauge anschaute.
Es ist wohl verständlicher zu sagen, dass ich mich durch den auf mich gerichteten Blick des kleinen, sterbenden Hasens mit der gesamten gottgeschaffenen Welt vereint fühlte. Es schien mir nicht richtig, ihn irgendwo zum Sterben niederzulegen. Es war für mich selbstverständlich, dass ich meinen kleinen Freund bis zu seinem Ende hielt, während ich in der Bibel las und die Sonne unterging.
St. Damien Krankenhaus in Haiti: Tag für Tag halten die Mütter am Bett ihrer kranken Kinder Wache. © Giles Ahsford
Weit unten begann eine Mutter weinend ein lautes Wehklagen. Ihre Wache neben dem sterbenden Kind war gerade beendet: Ihr zerbrechlicher Liebling hatte sich aus diesem Leben verabschiedet.
Der Sonnenuntergang, die letzten Atemzüge dieses kleinen Wesens in meiner Hand und der schreckliche Verlust, den diese Mutter jetzt verkraften musste - alles fand zur gleichen Zeit statt. Ich ging nach unten, um an die trauernde Mutter meine nutzlosen Worte der Anteilnahme zu richten und die leblosen Augen ihrer Tochter, die in ins Leere starrten, zu schließen.
Während Advent und Weihnachten unsere Aufmerksamkeit auf die Freude richten wollen, lenken die Fastenzeit und die Karwoche unseren Blick auf das Leiden. Sowohl die Lesungen als auch die Stundengebete in allen Gottesdiensten der Fastenzeit öffnen unseren Blick für das Leid in der Geschichte und das gegenwärtige Leid auf der ganzen Welt. Und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, ob Auferstehung möglich ist und was es wirklich bedeuten könnte.
Das Licht der Osterkerze hat eine besondere Bedeutung beim Fest der Auferstehung.
Die Auferstehung Jesu Christi wird seit jeher durch den Aufgang der Sonne symbolisiert. Jahrhundertelang wurden katholische Kirchen mit dem Altar in Richtung Osten gebaut.
Doch die Osterfreude wirkt keine Wunder, indem sie sofort Leben ändert und Heilung schenkt, sodass wir das Krankenhaus oder unser Haus für verwaiste und schutzlose Kinder oder unser Therapiezentrum nicht mehr bräuchten, um Kindern dabei zu helfen, unglaubliche körperliche und seelische Leiden zu überwinden.
Ein realistischeres Bild der Auferstehung, von unserer Seite des Grabes aus gesehen, ist das Bild der Sonne, die danach strebt aufzgehen.
Das Licht der Auferstehung sehen wir in den Kindern, die nach schweren Schicksalen zu uns kommen und sich wieder freuen können.
So wie die Sonne verstreute und zaghafte Strahlen durch die schweren Wolken eines stürmischen Morgens schickt oder den blassen bedrohlichen Winterhimmel, der Schnee ankündigt, erleuchtet, ohne sichtbaren Beweis, wo sie gerade steht, so verkörpert das Streben der Sonne nach ihrem Aufgang eine Welt, die danach strebt sich zu erheben.
Es ist leicht, dieses Licht in den Kindern zu sehen, die aus Armut und Trostlosigkeit in unsere nph-Kinderdörfer kommen und dann so viel Stärke zeigen im Bemühen ihr Leben zu meistern.
Das Lachen eines Kindes bei seiner Therapiestunde ist wie ein strahlender Sonnenschein.
Es ist auch den Kindern in den Therapieräumen leicht anzusehen, wenn sie – ermutigt durch unsere Mitarbeiter - mit Geduld und Hoffnung lernen, wieder erste Schritte zu gehen, nachdem ihre Beine durch Krankheit oder Schicksalsschläge leblos geworden waren.
Es ist leicht, dieses strebende Sonnenlicht in den Kindern in unserem Krankenhaus zu entdecken. Sie kämpfen um Atem, sie kämpfen um ihr Leben, sie kämpfen um ihre Gesundheit, sie kämpfen, um Kraft zu gewinnen - und Ihre Mütter stehen ihnen in diesem Kampf voll beiseite.
Wie sehen das Licht in den Kindern, die um ihre Gesundheit kämpfen - stets mit ihren Müttern an ihrer Seite. © Giles Ashford
Das Leben strebt danach zu leben, immer und vollauf. Dies ist ein wichtiger Grund für unsere Freude.
Hier ist ein weiteres Zeichen der Auferstehung. Du versuchst mir zu helfen und ich versuche Dir zu helfen. Selbst wenn wir niedergeschlagen sind und uns leer und nutzlos fühlen, sind wir doch genauso wie die Sonne, die im Aufgang begriffen ist, wenn wir die tiefste Lehre des Glaubens leben: Wir sind nur dann völlig lebendig, wenn wir uns selbst verschenken, damit andere leben können.
Ostern steht vor der Tür. Christus ist gestorben, Christus ist auferstanden. Halleluja!
Christus hat die Kraft seiner Auferstehung mit uns geteilt.
Danken wir Gott zusammen für diese Ehre, für das Licht des Glaubens und die Kraft der Hoffnung, für die Freude der Liebe.
Mögen wir die Fähigkeit haben, den Glanz der Ewigkeit in den Augen unserer Mitmenschen zu sehen.
Gott segne Euch und Eure Familien zu Ostern. Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr die Kinder in den starken und zarten Armen von „Unsere kleinen Brüder und Schwestern“ unterstützt.
Pater Richard Frechette
Port-au-Prince, Haiti
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