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Interview mit Heiko Seeger

Mitarbeiter kämpfen gegen Ausbreitung der Cholera

Frage: Herr Seeger, Ihre Organisation leistet seit mehr als 20 Jahren in Haiti Entwicklungsarbeit. Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Ihren Einrichtungen?

Seeger: In unserem Kinderdorf, den Schulen und Ausbildungswerkstätten, unserem Kinderkrankenhaus und weiteren medizinischen und therapeutischen Einrichtungen sowie unseren Nachbarschaftsprogrammen beschäftigen wir mehr als 800 Mitarbeiter. Fast alle von ihnen sind Haitianer.

Frage: Seit Mitte letzter Woche ist klar, dass die Cholera in Haiti ausgebrochen ist. An welchen Hilfsmaßnahmen sind Ihre Mitarbeiter beteiligt?

Seeger: Als Priester und Arzt ist es dem Leiter unserer Einrichtungen in Haiti, Pater Richard Frechette, ein besonderes Anliegen, den Menschen in den betroffenen Regionen zu helfen und der Ausbreitung der Cholera entgegen zu wirken. Gleich nach dem bekannt werden des Ausbruchs der Cholera sind unsere Kollegen nach Saint Marc, Ester und Robinet gefahren und haben Basismedikamente, Infusionslösungen, Antibiotika, elektrolythaltige Getränke, Betten, Matratzen, Nahrungsmittel und vor allem sauberes Wasser gebracht. Natürlich haben sie auch die dortigen medizinischen Einrichtungen bei der medizinischen Nothilfe unterstützt und den erkrankten Menschen seelischen Beistand geleistet.

Frage: Wie kann eine Ausbreitung der Cholera verhindert werden?

Seeger: Hierfür gibt es kein Patentrezept. Von Beginn an war es wichtig, die Patienten möglichst dort zu behandeln, wo die Krankheit ausgebrochen ist, um Wanderbewegungen zu unterbinden. Ganz gelungen ist das nicht, denn auch in Port-au-Prince sind Cholerafälle aufgetreten. Aber alle Erkrankten stammen aus den ländlichen Regionen und sind von dort, auf der Suche nach medizinischer Hilfe, in die Hauptstadt gewandert. Die Ärzte in Port-au-Prince haben hervorragend reagiert und die Cholerainfizierten so gut isoliert, dass eine großflächige Ausbreitung bislang verhindert werden konnte.

Frage: Das haitianische Gesundheitsministerium geht seit kurzem davon aus, dass die Gefahr einer Epidemie gebannt ist. Sehen Sie das auch so?

Seeger: Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit unseren Mitarbeitern in Haiti. Auch Pater Richard berichtete, dass zumindest nach Saint Marc weniger Patienten kommen. Dennoch ist die Situation dort dramatisch. Die Gefahr, dass die Cholera sich weiter ausbreitet, ist nicht gebannt. Die Flüsse sind weiterhin mit Cholerabakterien verseucht, der anhaltende Regen spült weiter Fäkalien in die Gewässer und sauberes Wasser und gesunde Nahrungsmittel sind für das Gros der haitianischen Bevölkerung nach wie vor unerschwinglich. Hier sind wir Hilfsorganisationen gefordert, die Menschen weiterhin zu unterstützen und langfristig Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

Frage: Eigentlich hatten viele erwartet, dass Seuchen und Infektionskrankheiten in den Zeltstädten, in denen seit dem Erdbeben rund 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum und unter unwürdigen hygienischen und sanitären Zuständen leben müssen, ausbrechen. Die Cholera trat aber im ländlichen Raum auf. Wie ist das zu erklären?

Seeger: Nach dem Erdbeben vom 12. Januar haben viele Menschen Port-au-Prince verlassen und sind in der Hoffnung auf Sicherheit und auf der Suche nach sauberem Wasser und Nahrungsmitteln auf ländliche Gebiete ausgewichen. Diese Regionen waren aber keineswegs auf den Zustrom vorbereitet. Da es keine Kanalisation gibt und durch die anhaltende Regenzeit die Latrinen unterspült werden, gelangen Fäkalien in Gewässer. Das ist der ideale Nährboden für die Entwicklung von Cholerabakterien, wie sie im Fluss Artibonite nachgewiesen wurden. Da der Fluss für die dort lebenden Menschen Trinkwasserreservoir und Badezimmer zugleich ist, haben sie sich mit dem Cholerabakterium infiziert. Deshalb hat sich die gefährliche Infektionskrankheit zunächst nur in der Region Artibonite ausgebreitet.

Dass es in den Zeltlagern bislang nicht zu einem Ausbruch von Seuchen und Infektionskrankheiten kam, ist der hervorragenden Arbeit vieler Hilfsorganisationen zu verdanken. Denn Organisationen wie ?Unsere kleinen Brüder und Schwestern? versorgen die Menschen dort mit dem Nötigsten. Hierzu gehören Nahrungsmittel, eine medizinische Grundversorgung und vor allem sauberes Wasser. Allein unsere Organisation liefert rund 80.000 Liter sauberes Wasser täglich in die Zeltlager. Uns war auch klar, dass wir dringend sanitäre Anlagen in den Zeltlagern bauen müssen, um Seuchen und Infektionskrankheiten zu verhindern. In drei Obdachlosenlagern haben wir inzwischen Duschen und Toiletten errichtet, auch, um den Erdbebenopfern ein bisschen Menschenwürde zurückzugeben. In zwei weiteren Lagern sind Duschen und Toiletten im Bau.

Frage: Was sind in den nächsten Tagen und Wochen die größten Herausforderungen?

Seeger: Zunächst einmal ist wichtig, dass es weiterhin gelingt, eine Ausbreitung der Cholera zu verhindern. Es wäre eine Katastrophe, wenn sich diese lebensbedrohliche Infektionskrankheit in den Zeltlagern, wo Tausende von Menschen auf engstem Raum leben, ausbreitet. Dann sind wir als Hilfsorganisation gefordert, auch weiterhin an der Beseitigung der Folgen des Erdbebens und dem Neuaufbau von Port-au-Prince mitzuwirken. Denn zu unserer Philosophie als Hilfsorganisation gehört es, den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand zu geben, damit auch für die Haitianer ein würdiges und selbstbestimmtes Leben möglich wird und Armut eines Tages der Vergangenheit angehört.

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Nadine Fissl

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