Man schreibt das Jahr 1953: William Bryce Wasson übernimmt als katholischer Priester eine kleine Gemeinde in Cuernavaca, Mexiko. Im August des Folgejahres stielt ein 14-jähriger Junge Geld aus dem Opferstock. Für die tiefgläubigen Mexikaner ist das ein schlimmes Vergehen. Deshalb wird der Diebstahl angezeigt. Schnell fasst die Polizei den Langfinger. Er kommt ins Gefängnis.
Den katholischen Priester William Wasson lässt der Diebstahl nicht kalt. Er möchte die Hintergründe erfahren. Gustavo erzählt ihm, dass er das Geld gestohlen hatte, weil er hungrig war. Das Straßenkind lebt ohne Familie und feste Bindungen. Padre Wasson hat Mitgefühl und fragt den Jungen, ob er bei ihm leben und ihm wie einem Vater gehorchen wolle. Der 14-Jährige stimmt freudig zu. Auch der Polizeichef lässt sich schnell davon überzeugt, dass es für ein Kind besser ist in familiären Strukturen aufzuwachsen, als im Gefängnis zu sitzen. So wird Gustavo das erste Kind in der nph-Familie von Padre Wasson.
Weniger als eine Wochen später fragen die Behörden, ob er weitere acht Waisen nehmen kann. Padre Wasson stimmt zu. Das ist die Geburtsstunde des Kinderhilfswerks nuestros pequeños hermanos (nph), zu Deutsch: Unsere kleinen Brüder und Schwestern. Aus den neun Kindern wurden 32. 1965 gehörten schon über 400 Kinder zur nph-Familie und 1970 wurde die 1000.-Grenze überschritten. Heute leben in den neun nph-Kinderdörfern in Lateinamerika über 3.000 Mädchen und Jungen.
„Als ich nuestros pequeños hermanos ins Leben rief, wollte ich wegen meiner großen Liebe zur heiligen Schrift etwas Biblisches schaffen“, erklärte Padre Wasson seine Motivation. Zunächst plante er zwölf Kinder aufzunehmen, zu Ehren der zwölf Apostel. Er hatte seine Rechnung allerdings ohne die mexikanischen Behörden gemacht, die ihm immer weitere Waisenkinder zuwiesen. „Schließlich entschied ich, dass es 72 Kinder sein sollten, zu Ehren der 72 Jünger. Doch es wurden immer mehr“, erzählte Padre Wasson im Rückblick.
So mietete der katholische Priester zunächst ein Gebäude, um für seine neu entstandene Familie ein liebevolles Zuhause zu schaffen. Die Geldmittel, die dafür notwendig waren, stammten in der Anfangszeit von Familienangehörigen und Freunden. Doch schnell war Padre Wasson klar, dass er für die Unterstützung der immer zahlreicher werdenden Kinderschar ein breiteres Fundament schaffen musste. Deshalb kehrte er immer wieder in sein Heimatland, die USA, zurück, gründete dort 1965 ein eigenes Büro, das die Zielsetzung hatte, das Engagement von Padre William Wasson finanziell abzusichern. Weitere Büros in Europa und anderen Teilen der Welt folgten.
1970 erwarb Padre Wasson zu einem günstigen Preis eine ehemalige Zuckerrohrplantage. ‚Casa San Salvador‘ ist das „Mutterhaus“ von nph und befindet sich in Miacatlán, einer Kleinstadt im Bundesstaat Morelos, rund 100 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Mexiko-City. Casa San Salvador ist bis heute das Zuhause für mehr als 500 Mädchen und Jungen.
Padre William Wasson erlebte auf seinen Reisen, dass die Not in vielen Ländern Lateinamerikas groß ist. „Wenn ich diese Erlebnisse erzähle, kommen Erinnerungen von vielen Kindern hoch, die ich um mich herum gesehen habe: Kinder in Gefängnissen, in Armenvierteln, überarbeitet und unterernährt, Kinder, deren Leben durch Krankheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zerstört wurde. Ich fühle eine tiefe Traurigkeit, wenn ich davon rede.“
So weitete sich sein Lebenswerk aus: 1985 gründete der katholische Priester ein Kinderdorf in Honduras. Auf Bitten von Mutter Teresa öffnete 1987 das nph-Kinderdorf in Haiti seine Pforten. Die Kinderdörfer in Nicaragua (1994), Guatemala (1996), El Salvador (1999), der Dominikanischen Republik (2003), Peru (2004) und Bolivien (2005) folgten. Mehr als 18.200 Mädchen und Jungen sind seit der Gründung von nph in den Kinderdörfern aufgewachsen und in ein eigenständiges Leben gestartet.
Schon von frühester Kindheit an wurde William Wasson durch sein christliches Elternhaus geprägt. „Eine meiner ersten Erinnerungen ist der Besuch auf der Jamieson Farm, wo geflüchtete, kriminell gewordene und verwahrloste Kinder aufgenommen wurden. Ich fühlte einen tiefen Schmerz für die Kinder in Jamieson.“ Doch das soziale Engagement der Eltern, das darin gipfelte, dass sie zeitweise Problemkinder bei sich aufnahmen, ängstigte den jungen William. „Ich brachte das nicht mit Religion in Verbindung. Doch mit der Zeit verwandelte es sich in die Wahrheit, die ich in meinen Überlegungen zu erreichen suchte. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich begann, die Arbeit meiner Eltern als religiösen Akt zu begreifen.“
Als Erwachsener machte sich Padre Wasson die christliche Nächstenliebe der Eltern zu Eigen. Seine Vision war eine Welt, in der verwaiste und schutzlose Kinder in einer behüteten Gemeinschaft aufwachsen und ihr Potential voll ausschöpfen können. Als Gründervater von nph war ihm wichtig, die Kinder bedingungslos zu lieben und sie in einem familiären Umfeld aufwachsen zu lassen.
Sein Kinderhilfswerk war für ihn keine Institution, sondern eine liebevolle Familie. „Sobald unsere Kinder verstehen, dass wir keine Institution, sondern eine Familie sind, möchten sie etwas zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Daher ist die Mitarbeit ein unentbehrlicher Bestandteil unserer Philosophie.“ Miteinander zu teilen, Verantwortung für sich und seine Brüder und Schwestern zu übernehmen, sind ebenfalls bis heute Werte der Padre Wasson’schen Philosophie. Die Grundlage seines Wertesystems bildet der christliche Glaube, der den Kindern Orientierung und Stärke verleiht.
Zeit seines Lebens hat sich Padre William Wasson für notleidende und benachteiligte Kinder eingesetzt. Für sein Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen wie den ‚Good Samaritan Award‘ der National Catholic Development Conference, den ‚Aztekischen Adler‘ der mexikanischen Regierung, den Kellogg’s Hannah Neil World of Children Award, den Opus Prize, die Auszeichnung vom Caring Institute in Washington D.C. als einer der zehn fürsorglichsten Menschen Amerikas und schließlich den Internationalen Erich-Fromm-Preis.
„Es ist erstaunlich, was man im Laufe eines Lebens alles erreichen kann, wenn man nur jeden Tag ein kleines Stück daran arbeitet“, resümierte Padre Wasson im Rückblick auf sein Leben.
Er hat als Christ und Mensch Großes erreicht: Am 16. August 2006 starb Padre William Wasson im Alter von 82 Jahren. Doch bis heute ist er für seine Kinder der Vater der Waisen geblieben.
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